Halbnorm
In der Mathematik versteht man unter einer Halbnorm (oder unter einer Seminorm)[A 1] ein Funktional, das sowohl absolut homogen als auch subadditiv ist. Mit dem Konzept der Halbnorm wird das Konzept der Norm verallgemeinert, indem auf die Eigenschaft der positiven Definitheit verzichtet wird. Jede Halbnorm ist nichtnegativ, symmetrisch bezüglich Vorzeichenumkehr, sublinear und konvex. Aus jeder Halbnorm kann durch Restklassenbildung eine zugehörige Norm abgeleitet werden. Mit Hilfe von Familien von Halbnormen können auch lokalkonvexe Vektorräume definiert werden. Halbnormen werden insbesondere in der linearen Algebra und in der Funktionalanalysis studiert. Eng verwandt mit dem Konzept der Halbnorm ist das Konzept des Minkowski-Funktionals.
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Definition
BearbeitenSei ein Vektorraum über dem Körper
. Eine Halbnorm auf
ist eine Abbildung
mit den Eigenschaften absolute Homogenität und Subadditivität,[1] das heißt für alle
und für alle
gelten
(absolute Homogenität)
und
(Subadditivität),
wobei den Betrag des Skalars darstellt. Ein Vektorraum zusammen mit einer Halbnorm heißt halbnormierter Raum
.
Beispiele
Bearbeiten- Jede Norm ist eine Halbnorm, die zudem auch positiv definit ist.
- Die Nullfunktion
, die jedes Element des Vektorraums auf Null abbildet, ist eine Halbnorm.
- Der Betrag einer reell- oder komplexwertigen linearen Funktion ist eine Halbnorm.
- Jede positiv semidefinite symmetrische Bilinearform oder – im komplexen Fall – hermitesche Sesquilinearform
induziert durch Setzung von
eine Halbnorm. Hierbei geht ein, dass die Cauchy-Schwarz-Ungleichung für jede positiv semidefinite symmetrische Bilinearform (beziehungsweise hermitesche Sesquilinearform) gilt, woraus sich die Subadditivität folgern lässt.
- Ist
ein topologischer Raum und
kompakt, so ist durch
eine Halbnorm auf dem Raum aller stetigen Funktionen
gegeben. Hier wird verwendet, dass stetige Funktionen auf kompakten Mengen beschränkt sind und daher das Supremum endlich bleibt.
- Das Minkowski-Funktional
zu einer absorbierenden, absolutkonvexen Teilmenge
eines Vektorraumes.
- Auf dem Dualraum
eines normierten Raumes definiert
für
und
eine Halbnorm.
- Auf der Menge
der beschränkten linearen Operatoren lassen sich durch
(
) sowie durch
(
) Halbnormen definieren.
Eigenschaften
BearbeitenDurch Setzen von in der Definition folgt sofort
,
die Halbnorm des Nullvektors ist damit null. Im Gegensatz zu Normen kann es aber auch Vektoren geben, deren Halbnorm
ist. Durch Setzen von
folgt dann aus der Subadditivität (auch Dreiecksungleichung genannt) und der absoluten Homogenität die Nichtnegativität
für alle . Durch Setzen von
sieht man weiter, dass eine Halbnorm symmetrisch bezüglich Vorzeichenumkehr ist, das heißt
und aus der Anwendung der Dreiecksungleichung auf folgt daraus dann die umgekehrte Dreiecksungleichung
.
Weiter ist eine Halbnorm sublinear, da absolute Homogenität positive Homogenität impliziert, und auch konvex, denn es gilt für reelles
.
Umgekehrt ist jede absolut homogene und konvexe Funktion subadditiv und damit eine Halbnorm, was durch Setzen von und Multiplikation mit
ersichtlich ist.
Restklassenbildung
BearbeitenAufgrund der absoluten Homogenität und der Subadditivität ist die Menge
der Vektoren mit Halbnorm null ein Untervektorraum von . Daher kann eine Äquivalenzrelation auf
durch
definiert werden. Der Vektorraum aller Äquivalenzklassen aus obiger Äquivalenzrelation ist zusammen mit der Halbnorm
ein normierter Raum. Man nennt diesen Vorgang Restklassenbildung in
bezüglich der Halbnorm und bezeichnet
als Faktorraum
. Diese Konstruktion kommt beispielsweise bei der Definition der Lp-Räume zum Einsatz.
Familie von Halbnormen
BearbeitenIn der Funktionalanalysis werden im Bereich der lokalkonvexen Vektorräume nicht zuletzt Familien von Halbnormen betrachtet. Mit diesen kann es möglich sein, auf dem ursprünglichen Vektorraum
eine Topologie zu definieren, die ihn zu einem topologischen Vektorraum macht. Dazu legt man fest, dass die Menge
offen ist, falls für
ein
und endlich viele Indizes
existieren, sodass
für alle gilt.
In diesem Zusammenhang sind Familien mit einer bestimmten Trennungseigenschaft von besonderem Interesse. Eine Familie von Halbnormen heißt trennend, falls es für jedes
mindestens eine Halbnorm
gibt, so dass
gilt. Ein Vektorraum
ist nämlich genau dann bezüglich der oben erklärten Topologie hausdorffsch, wenn die Familie von Halbnormen trennend ist. Solch ein topologischer Vektorraum wird lokalkonvexer Vektorraum genannt.[2]
Ein Satz von Gelfand
BearbeitenIn der Funktionalanalysis gehört zu den zahlreichen Resultaten, die hier von dem Mathematiker Izrail M. Gelfand geliefert wurden, ein Satz, der die Frage behandelt, wie die Halbnormen auf einem reellen normierten Raum mit der gegebenen Norm verknüpft sind. Der Satz geht auf eine Arbeit Gelfands aus dem Jahr 1936 zurück.[3]
Formulierung des Satzes
BearbeitenAnknüpfend an die Darstellung in der Monographie von Kantorowitsch/Akilow lässt sich der Satz folgendermaßen formulieren:[4]
- Gegeben seien ein normierter
-Vektorraum
und darauf eine numerische Funktion
, welche die oben genannten Eigenschaften einer Halbnorm aufweist.[A 2]
- Dabei sei
unterhalbstetig und zudem existiere in
eine Teilmenge zweiter Kategorie
mit der Eigenschaft, dass für alle
die Ungleichung
gilt.
- Dann gibt es eine Konstante
mit
für alle
.
Literatur
Bearbeiten- Izrail M. Gelfand: Sur le lemme de la théorie des espaces linéaires. In: Sap. matem. t-wa. Band 4, 1936, S. 35–40 (französisch).
- L. W. Kantorowitsch, G. P. Akilow: Funktionalanalysis in normierten Räumen. In deutscher Sprache herausgegeben von Prof. Dr. rer. nat. habil. P. Heinz Müller, Technische Universität Dresden. Übersetzt aus dem Russischen von Heinz Langer, Dresden, und Rolf Kühne, Dresden. Verlag Harri Deutsch, Thun / Frankfurt am Main 1978, ISBN 3-87144-327-1 (MR0458199).
- Walter Rudin: Functional Analysis (= International Series in Pure and Applied Mathematics). 2. Auflage. McGraw-Hill, New York 1991, ISBN 0-07-054236-8 (englisch, MR1157815).
Anmerkungen
Bearbeiten- ↑ Damit verwandt, aber nicht identisch sind Quasinormen und Pseudonormen.
- ↑ In ihrer Monographie bezeichnen Kantorowitsch und Akilow eine derartige numerische Funktion
auf einem reellen normierten Raum als konvexes Funktional. Dabei lassen sie ausdrücklich auch
als
-Wert zu und fordern dabei die absolute Homogenität allein für
mit
.
Einzelnachweise
BearbeitenWeblinks
Bearbeiten- E.A. Gorin: Semi-norm. In: Michiel Hazewinkel (Hrsg.): Encyclopedia of Mathematics. Springer-Verlag und EMS Press, Berlin 2002, ISBN 1-55608-010-7 (englisch, encyclopediaofmath.org).
- Todd Rowland: Seminorm. In: MathWorld (englisch).
- Robert Milson, D. Allan Drummond: Seminorm. In: PlanetMath. (englisch)